Die Medizin basierte im Mittelalter fast komplett auf den Aussagen und Schriften von Gelehrten der Antike, wie Aristoteles und Galen. Das bezog sich natürlich auch auf den Zeugungsvorgang. Beide Gelehrten waren sich einig, dass allein die Wärme die Eigenschaft zur Vervollkommnung eines Lebenswesens war. Der Mann wurde als warm, die Frau eher als kalt charakterisiert, was dazu führte, dass man der Frau bei der Zeugung nicht allzu viel zutraute. Aristoteles ging davon aus, dass der Mann das zeugungsfähige Sperma und die Frau nur den formbaren Stoff beitrug. Wenn dieser nicht warm genug wäre, hätte es den „Unfall“ zur Folge, dass ein Mädchen geboren würde. Galen hat der Frau selbst einen Samen zugestanden, irgendwoher musste ihre Lust ja auch herkommen, der allerdings selbstredend viel minderwertiger war. Thomas von Aquin, ein geschätzter Gelehrter des Hochmittelalters, nahm die Theorie Galens auf und machte noch einige Zusätze. Demnach ist im männlichen Samen der gesamte Fötus schon angelegt, während die Frau einzig die Bewahrerin desselben ist, dem sie mit ihrem Blut die Nahrung für das Wachstum zur Verfügung stellt. Der Geburt von Mädchen widersprechen die irdischen Zeugungsfaktoren, also der Vater und das Sperma, aber widrige Umstände, die von den himmlischen Zeugungsfaktoren nicht verhindert werden führen nach Thomas zu einer Art Legitimation eines Mädchens.
Auch für die Rechtslage von ungeborenen Föten waren diese Theorien wichtig, denn ein männlicher Fötus galt schon ab dem 40.ten Schwangerschaftstag als beseelt, der weibliche erst ab dem 80.ten Tag. Eine Abtreibung eines beseelten Fötus galt als Totschlag mit schwerwiegenden Konsequenzen, eine Tötung oder Abtreibung von unbeseelten Föten war dagegen nur ein minderschweres Vergehen.
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